Myrtax - Die Ränke der Vampire

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32. Ophelion 7345 Vierte Ära NL

Morgengrauen

Myrtax

 

 

Myrtax schaute dem Druiden hinterher, der, in dicke Felle gehüllt und das Gesicht bedeckend, aus dem Gemach seines Herrn kam. Was er getan hatte, war Myrtax völlig klar. Huria wurde immer runder und hatte bereits neue Kleider bekommen, um ihren Körper vor den anderen Vampiren zu verstecken.

Etwas, was Myrtax schon relativ früh mitbekommen hatte: Jilal konnte sehr eifersüchtig werden, wenn es um sein Eigentum ging. Sowohl Myrtax als auch Marseille und Huria betrachtete er als sein Eigentum, wobei es tatsächlich bei keinem von ihnen stimmte. Sie gehörten zwar dem Clan der Lachlidan, aber Huria und Myrtax unterstanden eigentlich der Herrin Rovinna und ihrem Gemahl Simar als Sklaven, Marseille war nur eine Dienerin, die für ihre Dienste bezahlt wurde.

Dies schien für Jilal keinen Unterschied zu machen, er behandelte sie alle gleich gut oder schlecht. Myrtax konnte allerdings nicht sagen, dass er schlechter behandelt wurde als vorher. Seine Aufgaben waren andere und er wurde weitaus weniger bestraft und beleidigt als draußen auf dem Anwesen. Eigentlich konnte er sagen, dass er gut oder zumindest besser behandelt wurde, auch wenn manche Aufgaben - wie die Pflege von Huria - wohl dazu dienen sollten, Jilal zufrieden zu stellen und die beiden Menschen zu demütigen. Denn an Marseille ließ er sie nicht heran und wusch sie sogar manchmal selbst.

Der menschliche Sklave wunderte sich darüber. Er hatte bisher noch nie Liebe oder Verlangen empfunden und fragte sich, ob die Beziehung zwischen den beiden beinahe auf die Ebene eines Ehepaares zu stellen war oder ob Jilal seine Position ausnutzte, um Marseille gefügig zu halten.

Nun, was auch immer es war, Marseille schien damit zufrieden zu sein. In der Theorie war es ihr möglich, seine Befehle nicht anzunehmen und sowohl ihren Geist als auch ihren Körper ihm zu verwehren, da sie - wie gesagt - eine freiwillige Dienerin war.

Mittlerweile wusste Myrtax auch, warum Marseille zur Dienerin geworden war. Es war einer der Hauptgründe, warum sich niedere Vampire eines höheren Blutranges dazu verpflichteten, der Adelsfamilie zu dienen. Zum einen war es das Gold, auch wenn die Bezahlung nicht ausreichte, um ein gutes Leben zu führen. Zum anderen war es die Faulheit, eine eigene kleine Ökonomie aufzubauen, besonders nicht als eigene Farm. Bei Marseille kam noch hinzu, dass ihr Vater in einem Gemetzel mit einem Clan der Kleinen Zwölf gefallen und ihre Mutter verdingte sich als Köchin, was ihnen aber auch kaum Geld einbrachte. Also tat Marseille das einzige, was sie tun konnte: sie bot ihre Arbeitskraft den Lachlidan an, die sie sofort annahmen.

Zumindest war das die Geschichte, die man sich über die hübsche Vertraute erzählte. Sie selbst sprach wenig mit Myrtax und würde ihm so etwas wie ihre persönliche Geschichte nicht anvertrauen. Das war für Myrtax in Ordnung, er wollte nicht ihr Freund sein. Er wollte nur ihre Vorlieben, ihre Abneigungen und ihre Schwachstellen herausfinden. Bei Jilal war es ihm schon länger klar, denn der hochmütige Vampir war dem Alkohol, insbesondere dem Blutwein, sehr angetan. Myrtax brauchte nur noch ein sehr starkes Gift, welches nicht sofort auffiel. Doch dies war schwer zu bekommen und zur Eigenherstellung reichten seine Kenntnisse nicht.

Der junge Mann betrat nun das Gemach von Jilal und fand wieder die beiden Vampire und die Sklavin vor, die er jetzt mehr und mehr bemitleidete. Er hatte schon schwangere Frauen gesehen, aber Huria schien es schlimmer getroffen zu haben aus seiner Sicht. Ihre Brüste waren schon größer geworden, vermutlich, weil sich jetzt langsam Muttermilch bildete. Ihr Teint war sehr blass geworden, Myrtax hätte sie wohl kaum von einem Stück Kreide unterscheiden können.

Die Beine der Frau waren aufgedunsen und teilweise bildeten sich Pickel in ihrem Gesicht und auf den Armen, ihr Haar war erschlafft. Aber die größte Veränderung - wie hätte es auch anders sein können - war ihr Bauch, der sehr blass war und Myrtax hatte das Gefühl, dass die Haut sehr dünn geworden war. Feine Adern zogen sich unter der blassen Haut entlang.

Jilal war von den Veränderungen nicht sehr begeistert, aber der Druide hatte es ihm beim letzen Mal schon gesagt, dass sie sich wieder erholen würde, falls sie die Geburt überlebte.

Myrtax hatte da seine Zweifel, auch, wenn er es ihr wünschte. Er spürte die Veränderungen, wenn er ihre Haare entfernte, sie wusch und einölte. Manchmal weinte sie leise dabei, der Sklave tat dann so, als würde er es nicht bemerken.

"Nun gut.", brummte Jilal, verschränkte die Arme vor der Brust. Heute trug er eine graue Baumwollhose und ein Hemd aus Baumwolle, welches die Brust freiließ, aber mit Schnüren zusammengezogen werden konnte. "Gute Nachrichten. Ich hoffe nur, dass deine Schönheit damit nicht verflogen ist."

Er wandte den Kopf zu Myrtax. Die Vorhänge waren bereits zugezogen worden, sodass kein Tageslicht hereinfallen konnte. Für den Sklaven war es eine geeignete Möglichkeit, die Vorhänge während des Tages aufzuziehen und die Vampire so zu töten. Falls sie nicht vorher wach wurden.

Eigentlich könnte er auch den ganzen Baum abfackeln, aber bevor er überhaupt so viel Feuer legen konnte, würden sie ihn töten. Vermutlich langsam und qualvoll.

"Herr?" Myrtax verneigte sich. "Ich hoffe, mit dem Kind ist alles zu Eurer Zufriedenheit?"

"Mit dem Kind schon." Jilal gab Marseille einen Wink, welche die menschliche Sklavin auf die Beine zog und sie in ein dünnes Baumwollkleid hüllte, welches ihre mittlerweile sehr ausladenden Kurven betonte und ihre Schienbeine freiließ.

Myrtax wartete auf eine Antwort, aber diese kam nicht. Vermutlich ging es Jilal nur um das Äußere seiner Sklavin. Schweigend wartete er, bis die beiden Vampire sich gewaschen und abgetrocknet hatten.

"Bring das Geschirr weg.", raunte Marseille ihm zu, als sie fertig waren. "Wenn die Nacht anbricht, soll uns der Koch auch Blutwurst zum Frühstück gereichen."

"Ja, Herrin, ich werde es ihm ausrichten." Myrtax verneigte sich leicht, auch, wenn er es nicht gemusst hätte. Auch müsste er Marseille nicht als Herrin ansprechen, aber momentan war sie es nun einmal. Und als Dienerin war sie ihm sowieso höhergestellt. "Zur gleichen Zeit?" Dies bedeutete Anbruch der Nacht, wenn die Sonne fast untergegangen war.

"Zur gleichen Zeit. Sollten wir noch schlafen, stell es hin und verschwinde."

"Ja, Herrin."

"Worauf wartest du? Schlepp deinen menschlichen Kadaver hier raus." Ihre Worte wirkten wie ein Fauchen, als hätte er sie angegriffen oder beleidigt.

"Herrin." Myrtax verneigte sich rasch, bevor er die Teller und Kelche der Nacht klimpernd zusammenräumte und eilig das Gemach verließ. Die Tür krachte hinter ihm ins Schloss und er wäre beinahe mit der Herrin Rovinna zusammengestoßen, die nur wenige Schritt entfernt im Gang stand und wohl auf ihn gewartet hatte.

"Herrin." Myrtax verneigte sich mit dem Tablett in der Hand, was nicht sonderlich einfach war, wenn man bedachte, dass die Kelche über die Teller rollten.

"Ah, Sklave Myrtax.", hauchte die Frau, als wäre Sklave sein Vorname. "Genau dich wollte ich sprechen."

"Herrin?", fragte er perplex. "Was hat denn die hohe Herrin mit mir zu schaffen?"

"Deine Berichte sind überfällig.", lächelte sie gefährlich kalt. "Ich wollte mit dir darüber reden. Bring das Geschirr weg und komm danach zu mir, wir sind noch wach. Und bring einen jungen Blutwein mit."

"Ja, Herrin, ich bin sofort bei euch."

"Los, lauf, kleiner Mensch.", lachte die Vampir-Adlige und Myrtax lief. Er lief so schnell er eben konnte. Seine Berichte hatte er über das verbotene Studium des Alt-Vampirisch und der Magie der Altvorderen vergessen.

Vermutlich würde sie ihn dafür bestrafen.

Der Sklave lieferte das Geschirr ab, holte vom Koch einen Blutwein und grinste, als der Koch Hurath ein gegrummeltes "Was wollen die Herrschaften denn noch?" von sich gab, als Myrtax die Bestellung der Blutwurst zum vampirischen Frühstück aufgab.

Nun, nicht sein Problem.

Jetzt zu seinen Berichten. Die Berichte, welche die hohe Herrin angefordert hatte. Die Myrtax über seine Freude und seine Bücher und seine Aufgaben für Jilal völlig vergessen hatte.

Mit rasendem Herzen stand er vor den beiden Wächtern, die mit ihren kurzen Piken ihm den Weg versperrten. Es war bereits geklopft worden, man ließ ihn aber warten.

Zwanzig Herzschläge.

Vierzig Herzschläge.

Neunzig Herzschläge.

Bei einhundertzwanzig Herzschlägen war Myrtax schweißgebadet, sein Hemd klebte ihm am Rücken und irgendwie war ihm kalt.

Nach dreihundert Herzschlägen hörte der Sklave auf zu zählen, aber kurz danach öffnete sich die große mit Intarsien ausgelegte dunkle Holztür wie von Geisterhand.

"Soll reinkommen.", brummte die tiefe Stimme von Simar, dem Oberhaupt der Lachlidan. Die Piken teilten sich metallisch klirrend, ließen Myrtax durch, der rasch das große Zimmer betrat.

Das Gemach lag knapp unterhalb der großen Baumkrone des Baumes, was an einigen Stellen deutlich zu sehen war, denn dort zweigten sich Äste ab. Die Decke war auch nicht glatt, sondern schien wie von Wurzeln durchzogen zu sein.

Simar saß rechterhand in einem Sessel und schien sich eine Pfeife bereitzumachen, die er wohl beim Frühstück rauchen würde, sobald er geschlafen hatte. Anders ergab es keinen Sinn, sich bei Tagesanbruch eine Pfeife zu genehmigen.

Die Herrin Rovinna hatte einen dünnen Sklaven bei der, der bis auf einen Lendenschurz nichts trug. Als er Myrtax erblickte, konnte er die Panik im Blick des Mannes sehen, der teilweise geschoren worden war. Rote Striemen zogen sich über seinen Körper, ein paar kleinere Platzwunden blutete auf Brust, Bauch und Armen. Die Herrin schien ihm diese Wunden zugefügt zu haben, denn sie rollte gerade eine dünne Peitsche auf, welche sie neben ein paar Gerätschaften legte, die verdächtig nach Messern und Daumenschrauben ausschauten.

"Du kannst gehen.", murmelte die rotäugige Vampirin, der Sklave floh aus dem Raum. Erst danach krachte die Tür ins Schloss und Rovinna schaute auf.

"Ah, Myrtax." Ihr schwarzes Haar floss wie Wasser über ihre Schulter. Wieder steckte sie in einem geschlossenen Kleid, dieses Mal aber war es feuerrot. "Sehr schön. Gieß mir und meinem Mann doch den Wein ein."

Myrtax tat wie befohlen und versuchte nichts von dem roten Getränk zu verschütten. Selbst junge Blutweine waren ihr Gewicht in vollen Silberbarren wert.

"Dieser Blutwein ist sechs Jahre alt.", sprach Myrtax, versuchte seine Hand unter Kontrolle zu halten, während er in die Silberkelche einschenkte. "Einen jüngeren Wein hatte der Koch nicht. Er ist aus der Seltha-Blutlinie." Dabei deutete er auf das hellbraune Etikett. "Vornehmlich mit Brot aus Nüssen gefüttert und nur mit Milch oder Wasser getränkt."

Myrtax hatte sich die Syntax der Vampire angeeignet, damit er ihnen deutlich machte, dass er nicht mehr zu den Menschen gehörte. Was bisher noch nicht so viel ausgemacht hatte.

"Eine gute Wahl." Simar lächelte leicht, legte seine Pfeife mit dem langen Stiel auf die feine Halterung, sodass der Tabak nicht herausfiel.

"Danke, Herr." Auch der Herrin schüttete er ein, behielt die Flasche kurz in der Hand und stellte sie dann auf einen Beistelltisch. Wärme veränderte den Geschmack etwas.

Rovinna kostete vom Wein, ihre Kehle bewegte sich leicht dabei und sie schien es sehr zu genießen, denn sie hatte die Augen geschlossen und blieb für einige Herzschläge so stehen, bevor sie Myrtax erneut anschaute.

"Also, Sklave Myrtax." Sie verschränkte die Arme vor der Brust, den Kelch in der Hand. "Deine Berichte haben uns sehr enttäuscht, da sie nicht gekommen sind."

"Es tut mir leid, Herrin." Myrtax verneigte sich rasch so tief es nur ging. Kurz überlegte er, auf die Knie zu fallen, ließ es aber bleiben. Ein wenig Würde hatte er dennoch. "Die Aufgaben für den Herrn Jilal waren vielseitig und interessant, sodass mir kaum Zeit blieb, Worte in Eure wohlgeschätzten Ohren zu legen."

"Und ausdrücken kann er sich auch noch.", lachte Rovinna eisig kalt und so hell wie ein Vogel. "Sehr gut. Dann berichte jetzt, bevor ich es mir anders überlege."

"Ja, Herrin. Euer Sohn verweilt vornehmlich in seinem Gemach in Gesellschaft seiner Vertrauten Marseille und mittlerweile auch seiner Sklavin Huria."

"Die er gefickt und geschwängert hat.", zischte Rovinna nun nicht mehr belustigt. "Was hat er sich dabei nur gedacht?" Sie knurrte leise. "Du musst wissen, Sklave Myrtax, dass Huria aus einer sehr alten, sehr teuren und sehr geschmackvollen Blutlinie stammt und die einzige Tochter ist. Sie sollte unter der Aufsicht von unserem Druiden ihr Ei empfangen und es austragen, damit sie nicht zu Schaden kommt und uns ihr Blut noch lange erhalten bleibt." Ihr Gesichtsausdruck erschien Myrtax viel zu wütend für eine einfache Sklavin.

"Wie alt ist ihre Blutlinie denn?"

"Vierhundert Jahre. Nein, vierhundertzwanzig Jahre."

"Oh."

"Genau." Rovinna nippte an ihrem Kelch, schien ihre Wut langsam unter Kontrolle zu bringen. "Gut, weiter. Wie geht es ihr?"

"Sie wird mit jedem Tag schwächer und runder. Mehr kann ich nicht sagen." Dass Huria aber immer mal wieder weinte und Probleme zu haben schien, verschwieg er. Es würde die beiden Adligen eh nicht interessieren.

"Würde sie die Geburt überleben?"

"Bezweifle ich, Herrin. Aber ich bin kein Heiler, nur ein Sklave."

"Richtig, du bist nur ein Sklave.", lächelte die Vampirin. "Weiter. Was treibt mein Sohn noch, außer sich im Bett zu wälzen?"

"Er liest viel, besonders in der Bibliothek, wo er sich unbeobachtet fühlt. Meist Texte aus dem Alt-Vampirischen und gelegentlich Bücher über die Altvorderen."

"Woher weißt du denn, was das für Texte sind?", kam die leise Frage von Simar. Die Frage war so blank und scharf wie ein Dolch in der Dunkelheit, denn sie konnte ihn ohne weiteres töten. Rasch musste eine Ausrede her und die war so gut wie jede andere.

"Er hat mit mir darüber gesprochen. Nein, eigentlich hat er mit sich selbst gesprochen, ich stand nur daneben. Außerdem hat er mir einige Worte beigebracht, damit ich für ihn bestimmte Bücher holen soll, wenn er seinen Recherchen nachgeht."

"Das ist nicht gewünscht." Rovinna schaute ihren Mann an, der nur den Kopf seitlich bewegte. "Gut, vergiss diese Worte wieder. Sollten wir hören, dass du weiter Worte lernst, weiden wir dich aus, Abschaum, verstanden?"

"Ja, Herrin, dieser Abschaum vergisst es wieder." Myrtax verneigte sich und hoffte, dass der leise Spott nicht zu hören war.

"Gut. Hat er bereits mit Experimenten begonnen?"

"Nicht, dass ich wüsste. Sein Gemach verlässt er kaum." Er richtete sich wieder auf und sah einen schmalen Streifen Sonnenlicht durch einen der Vorhänge fallen. Offenbar ein Riss, der repariert werden musste. "Mit dem Druiden Diosmos spricht er auch kaum, lässt ihn nur einmal pro Woche kommen, um Huria zu untersuchen. Er trifft auch niemanden, den ich nicht kenne und ich kenne nahezu jeden, der das Gemach betritt oder verlässt."

"Natürlich tust du das." Die Adlige leerte ihren Kelch, stellte ihn hart neben ihre dünne Peitsche ab, rümpfte die Nase. "Du stinkst. Schweiß." Dann grinste sie. "Du hast Angst. Gut. Geh dich waschen, wir sind hier fertig. Deinen nächsten Bericht erwarten wir in zwei Wochen. Wehe, er kommt nicht."

"Nein, Herrin. Verstanden, Herrin." Auf dem Absatz drehte Myrtax sich um und floh genau wie der Sklave vor ihm aus dem Gemach der beiden Adligen. Er rannte vorbei an den Wachen, an anderen Sklaven, anderen Adligen und an Bediensteten. Einmal kam er sogar an einer Katze vorbei, die ihm allerdings auswich und er wollte auch gerade nicht streicheln.

Schwitzend und etwas außer Atem kam er in seinem Zimmer an, entledigte sich seiner Garnitur und wünschte sich, dass heute ausnahmsweise mal die beiden Vampirdamen, die ihn vor Monaten gewaschen hatten, es nun auch heute tun würden. Er hatte gerade nicht den Kopf dafür, aber musste es dennoch tun. Er wollte noch in die Bibliothek und sein Geruch würde auffallen.

Myrtax wusch sich gründlich, auch mit Seife, damit er nicht mehr nach Schweiß stank. Erst dann zog er sich an, nahm das große Buch der Altvorderen mit, verstaute es unter seinem Hemd, bevor er seinen Mantel anzog, den er damals bekommen hatte, als der erste Frost zu sehen war. So konnte er die Form des Buchs zumindest ein wenig kaschieren.

Sein Weg führte ihn an Beeten vorbei, die noch keine Blumen hatten und die wenigen winterharten Pflanzen waren außerhalb des Anwesens angelegt worden. Frost hielt sich hartnäckig auf der Erde und den Steinen, kroch ihm langsam durch die Kleidung.

In die Bibliothek einzubrechen war mittlerweile sehr einfach, denn niemand bewachte den Vordereingang. Erst im Inneren musste Myrtax darauf achten, niemandem zu begegnen. Die seltenen Bediensteten waren zumeist hochrangige niedere Vampire und selten adlige Vampire. Menschliche Sklaven gab es hier nicht aus gutem Grunde. Man wollte verhindern, dass die Menschen gefährliches Wissen ansammelten.

Myrtax war zumindest mit sich selbst darüber einig, dass Wissen allein nicht potentiell gefährlich war. Er hatte jetzt viel gelernt, war aber immer noch so hilflos wie eh und je.

Mit klopfendem Herzen duckte er sich unter die Sichtlinie des großen Empfangpults und verschwand in den ersten beiden Reihen der Regale. Es gab hier in den dicken Steinwänden keine Fackeln, sondern nur leuchtende Kristalle, einige dicke Kerzen und Lampen, in denen Kerzen brannten. So war es ein einfaches, den Bediensteten auszuweichen und das Buch wieder an seinen angestammten Platz zu bringen. Die Bibliothek wurde häufig gereinigt, denn nirgends war Staub auf den Regalen.

Myrtax schob den Wälzer wieder an seinen Platz und nahm zwei deutlich kleinere Bücher mit, wovon er hoffte, dass sie ihn irgendwie weiterbrachten.

Schwitzend drückte er sich an das Regal, als er schlurfende Schritte hörte und Fackelschein sah, der auf ihn zuhielt. Wieder begann sein Herz schneller zu schlagen. Hoffentlich schwitzte er nicht genug oder die Nase, die zu den Füßen gehörte, war nicht gut genug.

Auf jeden Fall bog der Fackelschein einen Gang vorher ab, eine männliche Stimme murmelte Zahlen vor sich hin, dann wurde plötzlich neben Myrtax nicht nur ein Buch, sondern gleich zwei Bücher aus dem Regal gezogen, was bedeutete, dass sowohl seine Reihe als auch die Reihe auf der anderen Seite von Nutzen war und dass der Bedienstete auf der anderen Seite genau wusste, wo welches Buch stand. Gelber Lichtschein fiel durch die Lücke.

"Gut, gut.", hörte Myrtax es leise sprechen. Es war ein Mann und seine Stimme hörte sich an wie Kieselsteine, die übereinander rollten. "Ja, das wird es tun. Kommt."

Die schlurfenden Schritte entfernten sich wieder, genau wie der Fackelschein. Das war viel zu knapp gewesen. Er wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn, um den Schweiß zu entfernen und tauchte wieder aus der Bibliothek auf.

Viel zu knapp!

Etwas gemesseneren Schrittes ging er zu Küche, holte sich Brot, Käse, zwei frühe Äpfel und eine große Kanne verdünnten Tees, bevor er sich in sein eigenes kleines Zimmer zurückzog.

Er entkleidete sich, legte sich mit den beiden kleinen Büchern und seinem Frühstück ins Bett und wandte seine müden Augen den Seiten auf Alt-Vampirisch zu.

Beinahe hätte er laut gejubelt, konnte sich aber gerade so zusammenreißen, damit nicht irgendwer auf Ideen kommen würde.

Der Titel des ersten Buchs lautete auf Alt-Vampirisch Grundlagenkunde, Geschichte und Anwendung der Magie.

Myrtax würde diese Nacht nicht schlafen.

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