Myrtax - Die Kraft eines Druiden

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16. Cervore 7344 Vierte Ära NL

Kurz vor Tagesanbruch

Myrtax

 

 

Myrtax wartete.

Sein Herr war noch nicht zurück, sein Herr Jilal. Boten hatten der Vertrauten Marseille genau wie der Herrin Rovinna berichtet, dass Jilal nur einen Nachtmarsch vom Anwesen entfernt lagerte. Myrtax hatte sich nicht getraut zu fragen, welche Entfernung dies war.

Myrtax wartete neben der Tür zum Gemach seines Herrn. Er wartete seit Anbruch der Nacht, beinahe unbeweglich. Ein einziges Mal musste er austreten. Er hatte nicht gegessen und nicht getrunken, sein Magen war leer und sein Durst groß. Er würde erst wieder trinken, wenn seine Schicht vorüber war und er in seinem eigenen kleinen Zimmer.

Der menschliche Sklave hatte vor wenigen Wochen sein Sklavenhalsband erhalten, ein schmales Lederband mit einem silbernen Anhänger, welcher das Zeichen von Jilal beziehungsweise des Clans Lachlidan trug: ein angesägter runder Holzklotz.

Beinahe trug Myrtax das Sklavenhalsband mit Stolz. Denn jetzt wurde gezeigt, dass er seine Qualitäten unter Beweis gestellt hatte und würdig war, einem Lachlidan zu dienen.

Es war auch keine schwere Dienerschaft. Die Nacht musste er in Rufweite beziehungsweise in Hörweite seines Herrn bleiben und ihm jeden Wunsch erfüllen. Bisher waren dies nur kleine Besorgungen, Essen, Wein und Botschaften gewesen. Er musste nicht schwer schleppen, er musste nicht auf das Feld oder in die Latrinen, er musste nur anwesend und gutaussehend sein. Und gut riechend, aber das verstand sich von selbst.

Myrtax wartete. Sklaven und Diener huschten an ihm vorbei, einmal Marseille, die aber keine Neuigkeiten für ihn hatte. In der heutigen Nacht trug sie ein graues, bodenlanges Kleid, welches von einer dünnen, silberdurchwirkten Kordel gehalten wurde. Offenbar stand sie in der Gunst von Jilal oder seinen Eltern. Myrtax würde es nicht wundern, wenn sie sogar das Bett miteinander teilten. Was nicht verwerflich war.

"He, wie lange noch bis Sonnenaufgang?", fragte er einen vorbeihuschenden Sklaven mit einer Waschschale in der Hand.

"Etwa eine Stunde." Der Sklave eilte rasch weiter, schaute sich aber noch einmal nach Myrtax um, als er den Weg nach unten nahm.

Myrtax war diese Blicke gewohnt. Viele der Sklaven kannten ihn und wunderten sich, warum ausgerechnet er dem Herrn dienen sollte. Dazu kamen die neidischen Blicke, die hasserfüllten Blicke und die mitleidigen Blicke, welche Myrtax am allerwenigsten verstand.

Anders waren die Diener, die sich ihren Platz "erkauft" hatten dadurch, dass sie den Lachlidan gegen Lohn und Brot freiwillig dienten. Sie glaubten nicht, dass Myrtax den Platz halten sollte oder ihn sich auch nur im entferntesten verdient hatte.

Myrtax war das allerdings egal. Er wusste zwar auch nicht, warum Jilal ausgerechnet ihn ausgewählt hatte, aber der Mensch war froh darum. So war er weg von Jaloquin, den Anfeindungen, den nassgepinkelten Decken, den Latrinen und dem riesigen Komposter, wo zwischen verfaultem Heu, Essensresten auch Leichen lagen, die als Nährboden dienen sollten.

Als Myrtax sich ein wenig entspannte, hörte er Schritte und Rufe, die rasch von unten näherkamen. Sofort spannte er den Körper an, starrte an die Wand vor sich. Sein Herzschlag beschleunigte sich, als er zwei der in Grün und Braun gekleideten Soldaten der Lachlidan erspähte, die seinen Herrn stützten. Myrtax drehte leicht den Kopf und erstarrte.

Sein Herr Jila war über und über mit Blut bedeckt, seine eigentlich prunkvolle Rüstung schien ihm an den Körper geklebt worden zu sein. Es sah aus, als wäre ein Teil der harten Platten von massiven Schlag zerstört worden, aus der Seite quoll Blut. Viel Blut und rann Jilal über die Beine.

Ein weiterer Vampir folgte und sah ganz anders aus als alle Vampire, die Myrtax je zu Gesicht bekommen hatte. Seine langen schwarzgrauen Haare waren zu vielen kleinen Zöpfen gebunden, die mit Pflanzen durchwachsen schienen wie viele kleine filigrane Ranken.

Seine Kleidung schien vornehmlich aus Stoff und Leder zu bestehen. Genauer: aus vielem verschiedenen Stoff und Lederstücken, welche die Stoffe miteinander verbanden. Gürtel klimperten an ihm, Bänder hingen von seinen Armen und er trug eine große und mehrere kleine Taschen mit sich herum. Außerdem eine gefährlich aussehende Handsichel, die im größten der Gürtel hing.

Auch seine Hände und sein Gesicht waren mit Blut beschmutzt, aber es schien nicht sein eigenes Blut zu sein.

Niemand rief ihn, aber Myrtax folgte den Leuten vorsichtig hinterdrein. Die Soldaten legte den Verwundeten auf den schmalen Esstisch, scheppernd fielen die ersten Rüstungsteile zu Boden.

"Was ist passiert?", fragte er in den Raum, wurde aber entweder ignoriert oder man hatte ihn nicht gehört. Vorsichtig schlich er sich näher, stellte wohl für die Soldaten mit ihren schmalen Helmen und den geschwungenen Kurzschwertern keine Bedrohung dar.

Klimpernd fiel der Brustharnisch zu Boden, wurde vom Druiden unwirsch zur Seite getreten. Blut floss über die Tischplatte und tropfte zu Boden, Jilal zischte und knurrte.

Jetzt konnte Myrtax die offene Seite sehen, die der Mann versuchte zuzuhalten. Sie sah aus wie aufgeschnitten und dann verbrannt, verkohlte Haut bildete einen ungefähren Kreis.

"Was ist passiert?", fragte er erneut und schien erst jetzt vom Druiden bemerkt zu werden. Jilal war zu sehr damit beschäftigt, seine Eingeweide im Körper zu halten.

"Geht dich nichts an.", grummelte der Druide. "Wer bist du überhaupt? Was macht ein Sklave hier?"

"Ich bin sein Haussklave." Myrtax deutete mit leicht zitternder Hand auf seinen Herrn. Hoffentlich starb er nicht, ansonsten müsste er wieder zurück zu den Latrinen.

"Ach ja?" Barsch machte der Druide eine Handbewegung. "Dann verschwinde. Wenn du helfen willst, hol mir Tücher und heißes Wasser."

"Heißes Wasser. Ja, Herr." Myrtax verneigte sich rasch, bevor er davoneilte und beinahe mit Marseille zusammenstieß, in Begleitung von Herrin Rovinna. Der Mensch hielt sich aber nicht lange mit Erklärungen auf, sondern rannte durch den Baum nach unten zur Küche, wo er den Koch um heißes Wasser anbettelte.

"Hmpf, na gut.", brummte der Koch, ein beleibter Mensch mit einer dreckigen Schürze. Er setzte einen großen Kupferkessel - mehrere Liter würde er wohl fassen - auf den Ofen auf und wartete. Er schien alle Zeit der Welt zu haben, Myrtax hingegen nicht.

"Geht das nicht schneller?", fragte er nach wenigen Minuten hibbelig, nachdem er von einem aufs andere Bein getreten war.

"Es dauert so lange, wie es eben mal dauert.", brummte der Koch gemütlich, rollte sich einige Kräuter in ein Stück Papier, schaute es nachdenklich und dann Myrtax an, bevor er es wieder wegsteckte.

Langsam aber sicher begann das Wasser im Kessel zu dampfen und als es begann zu sieden, holte sich Myrtax ein dickes Tuch, welches er um den Henkel des Kessels legte, um sich nicht die Finger zu verbrennen. Eiligen Schrittes verließ er die Küche, wich Sklaven aus und rief immer wieder "Vorsicht, aus dem Weg, heißes Wasser!"

So gelangte er nahezu unbehelligt wieder zu seinem Herrn. Myrtax taten die Arme weh, der mittlerweile heiß gewordene Henkel hatte sowohl das Tuch als auch seine Finger unangenehm heiß werden lassen.

"Wurde auch Zeit!", blaffte ihn der Druide an. "Los, hier neben mich."

Myrtax tat wie ihm geheißen. Sein Herr war bereits entkleidet, nur noch ein Tuch lag um seine Hüfte. Die jämmerlichen Überreste seiner Unterwäsche aus Leinen und der Panzerung lagen um den Tisch verstreut, ebenso wie einige Bandagen, die vor Blut glänzten.

"Nun weg." Der Druide tauchte seine Hand ins heiße Wasser und legte die andere Hand auf die große Wunde in der Seite von Jilal. Die beiden Soldaten tauschten einen Blick, bevor sie von ihrem Herrn zurücktraten.

Der Druide begann zu murmeln, der Dampf aus dem Wasser schien sich um seine Hand zu sammeln, bevor er weniger wurde und verblasste. Beinahe gleichzeitig hörte Myrtax ein fleischiges Schmatzen und sah mit Erstaunen und einem gewissen Ekel, wie sich das rote Fleisch seines Herrn bewegte und langsam zusammenschmolz wie heißes Wachs, bis nicht einmal mehr eine Narbe zurückblieb.

"Ihr seid erstaunlich.", hörte Myrtax neben sich und erschrak so sehr, dass er einen Schritt zur Seite auswich, als er die Herrin Rovinna entdeckte, flankiert von Jilals Vertrauten Marseille.

"Ich mache nur meine Arbeit, Herrin.", murmelte der Druide, ließ sich neben den Tisch auf die Knie sinken und wusch sich die Hände vom Blut sauber. Das Wasser dampfte nicht mehr und schien auch nicht heiß zu sein. Im Licht der Kerzen konnte Myrtax sehen, dass der Vampir Falten um die Augen hatte, was ihm bei anderen Vampiren bisher noch nie aufgefallen war. Jedenfalls nicht so direkt.

Scheiße, die Sonne!

Myrtax sprintete zu den beiden großen Fenstern, die wie Augen nach links und rechts schauten und zog die dicken Vorhänge zu, bevor die Sonne in das große Gemach schauen konnte. Sie hätten noch ein wenig Zeit gehabt, aber der Tag brach an.

"Ein eifriger Sklave.", hörte er die Herrin Rovinna murmeln.

"Er gehört mir, Mutter.", krächzte nun Jilal auf seinem Tisch. "Marseille. Ich höre dich."

"Ich höre auch dich.", hauchte die Vertraute auf eine Weise, die Myrtax mit seinen jungen Jahren beinahe als intim verstand. Dies schien auch der Herrin Rovinna aufzufallen, denn sie schaute mehrfach zwischen den beiden hin und her.

Myrtax bewegte sich nicht. Er hatte seinen Teil getan und es sah so aus, als würde sein Herr überleben. Die Latrinen rückten wieder in weite Ferne.

"Nun gut, räumt hier auf.", befahl die Herrin Rovinna. Zuerst rührte sich niemand, bis Marseille einen leisen Piff ausstieß, den Myrtax noch nie so gehört hatte und sehr melodisch klang. Wie von einem Vogel.

Sekunden darauf betraten drei Sklaven den Raum.

"Bringt Eimer, Seife und Wasser. Jemand bringt die Rüstungsteile zum Schmied, er soll eine neue Rüstung anfertigen. Und wir brauchen Trockentücher.", kommandierte Marseille, die mit einem raschen Blick alles im Raum zu erfassen schien. Auch den Mangel an Trockentüchern, da der Druide wohl einige davon zum Auffangen von adligem Blut benutzt hatte.

Die Sklaven stoben auseinander, jeder schien sofort zu wissen, was zu tun war. Zwei der Männer verschwanden wieder nach draußen, der dritte holte sich den Harnisch und begann damit, die Einzelteile und Splitter in den Harnisch zu legen, den er als Sammelbecken missbrauchte. Sogar die blutigen Bandagen, Trockentücher und Unterkleider stopfte er mit hinein.

Bevor er allerdings sein Werk vollenden konnte, war einer der beiden Sklaven mit einem Stapel voller Trockentücher in Weiß und Grau wiederaufgetaucht, wurde von Marseille zur im Boden eingelassenen Wanne dirigiert.

Kurz danach entschwand der Sklave mit den Resten der Rüstung und beinahe sofort betrat der letzte Sklave den großen Raum, einen Wischmop, zwei Tücher und einen großen Eimer voll schäumendem Wasser dabei.

"Junge.", knurrte der Vampirdruide, erhob sich und schaute ihn mit moosgrünen Augen an. "Hilf mir mal, den jungen Herrn wieder auf die Beine zu stellen."

"J-Ja.", stotterte Myrtax, beeilte sich dem Befehl zu folgen. Als sie Jilal aufrichteten, glitt das Tuch um seine Hüfte zu Boden, so mussten sie ihn nackt tragen.

"Ins Bad." Marseille half ihrem Herrn, in das Bad zu steigen, murmelte ein paar Worte, als würde sie Zauber ausführen, was Myrtax erstaunte. Er hatte es nicht bei ihr erwartet.

"Wie habt Ihr das gemacht?" Myrtax schaute den Druiden an, befürchtete Schläge und Zurückweisung, aber er musste es einfach wissen. Wie konnte heißes Wasser dazu dienen, Wunden zu verschließen?

"Tja, was glaubst du?" Der Druide verzog das Gesicht, als wolle er lächeln. Seine Hand war auch unversehrt. "Mit Magie."

Eine andere Erklärung gab es nicht. Marseille scheuchte Myrtax hinaus, der Druide blieb zurück. Für den jungen Menschen war nun klar, dass es mehr zwischen Himmel, Erde und Magie gab, als er angenommen hatte.

Er musste den Vampir befragen, sobald er konnte. Er musste einfach wissen, wie man Wasser zur Heilung nutzen konnte. Wenn ihm solch ein Unterfangen gelang, dann konnte er alles bewerkstelligen.

Und vorher musste er Magie lernen.

 

 

 

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